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Berichte ehemaliger Zwangsarbeiter

‚…und die Erinnerung tragen wir im Herzen‘
hrsg. von Waltraud Jachnow, Sabine Krämer, Wilfried Korngiebel, Susanne Slobodzian für die Initiative „Entschädigung jetzt“  Bochum 2002

Michail Petruk

„… Ich lebte im Lager Kaiseraue. Dieses Lager war ein riesiges Gebäude, in dem früher irgendwann ein Theater gewesen war. Ein gewaltiger Saal mit kleiner Bühne. Vom Saal führte eine Tür in ein kleines Zimmer, offensichtlich zum Repetieren gedacht, eine zweite Tür führte ins Restaurant. … Der Hof lag etwas tiefer, in der Mitte war ein künstlicher Teich. Neben dem Zaun stand eine Baracke, umgeben mit Stacheldraht, in ihr lebten Franzosen. … In diesem Lager lebten 240 Menschen, „Ostarbeiter“, wie wir genannt wurden und 40 Personen aus der Westukraine in jenem kleinen Zimmer. Über sie werde ich nicht schreiben, sie waren Weiße im Vergleich mit uns, sie waren in allem privilegiert.

Michael Petruk, Herbst 1942, Bochum

Alle aus dem Lager arbeiteten in Schacht 8/9, es gab verschiedene Arbeiten. Der Schacht war etwa 6 bis 7 km vom Lager entfernt. Wir arbeiteten alle von morgens an, zur Arbeit führten uns bewaffnete Bewacher. Nach einiger Zeit schichte man mich und noch einen jungen Burschen in die zweite Schicht. … Nur wir zwei aus dem gesamten Lager arbeiteten im Streb, die anderen im Streb waren alle Kriegsgefangene. Zur Arbeit führte uns ein Pensionär/Invalide …. Der Schacht war sehr tief und heiß. Wir arbeiteten halbnackt. … Wir arbeiteten nur mit dem Vorschlaghammer. Das war schwer. Wir-mussten 8 Stunden in dieser Hitze und in diesem Staub arbeiten (wenn die Norm nicht erfüllt wurde, musste man zur nächsten Schicht bleiben). … Das Essen war widerlich. Wenn es Spinat gab, knirschte der Sand zwischen den Zähnen, gab es Kohlrüben, so schwammen drei bis vier Stück in der Suppe, das übrige war Wasser mit einer Art Kleie. … Ich war nierenkrank, meine Beine waren die ganze Zeit geschwollen. Alle bekamen 200g Brot, wir im Streb bekamen 400g… Das Schrecklichste waren die Bombardements. Es gab keinen Bunker. Lediglich unter dem Gebäude befand sich eine Art Kellerverschlag. Da war es schon das Beste, einfach auf den Hof zu gehen und auf den Tod zu warten …“
aus S. 161f

Nikolaj Storoschenko und Storoschenko Dimitrij
Nikolaj Storoschenko hatte bei seinem Aufenthalt 1998 in Bochum erzählt, wie er und sein Vater Storoschenko Dimitrij 1942 in der Nähe von Donezk von uniformierten Deutschen verschleppt wurden. Der damals 14jährige klammerte sich an seinen Vater und wurde mit ihm nach Deutschland gebracht.
Beide wurden in der Kaiseraue untergebracht, arbeiteten aber auf unterschiedlichen Schachtanlagen der Zeche Constantin:
„Mein Vater arbeitete auf Schacht Nr. 6/7 von Constantin dem Großen. Die Arbeit war sehr schwer, man gab ihnen 400 g Ersatzbrot und einen halben Liter Suppe täglich. Die Menschen magerten zu Skeletten ab. Die Meister meldeten dem Wachpersonal (Polizisten), wer schlecht gearbeitet hatte, wenn sie ins Lager zurückgeführt wurden. Sie wurden bestraft, man gab ihnen nichts zu essen, brachte sie in die Wachstube und schlug sie mit Gummiknüppeln, sperrte sie in eine dunkle, feuchte Kammer. Am nächsten Tag mussten sie wieder arbeiten. … Mein Vater … ist am 6. Februar 1943 gestorben. An den Schlägen und praktisch verhungert. So kam mein Vater mit seinen 40 Jahren um.“

Nikolaj arbeitete zunächst auf Constantin Schacht 2. „Von der Lagerleitung erinnere ich mich nur an den Chef Strafmann/Stratmann und den Lagerarzt Wilhelm Hildmann. Das waren sehr strenge Leute. Aber nicht alle Deutschen waren schlecht. …“ Im Sommer wurde er nach einem Arbeitsunfall ins Bergmannsheil eingeliefert.

aus ‚…und die Erinnerung tragen wir im Herzen‘ s.o. S.115-118, S.161-163

Jekaterina Okunewa

In der Zentralküche der Zeche Constantin auf dem Kötterberg mussten auch Jekaterina Okunewa und Soja Solomkina arbeiten. Vom 31.12.43 bis zum Kriegsende waren die beiden ukrainischen Zwangsarbeiterinnen dort eingesetzt. 2004 besuchten sie Bochum.

Jekaterina Okunewa berichtete, dass sie im April 1943 mit ihrem Bruder Ivan nach Deutschland verschleppt. 10-12 Tage dauerte die Fahrt in Güterwaggons mit sehr wenig zu Essen. Sie wurde von ihrem Bruder getrennt. Sie musste auf einem Bauernhof in der Nähe von Vlotho arbeiten, wo es ihr noch besser ging als den Ostarbeitern, die für andere Bauern arbeiteten. Im Dezember 1942 wurde sie nach Bochum versetzt ins Lager Konstantin – Kosthaus, Hiltroper Straße 230. Sie berichtete:

„Wir waren 35 – 40 Leute. Wir arbeiteten in einer Küche. Die Älteren waren nicht gerecht zu uns Minderjährigen und gaben uns die schwerste Arbeit, die uns über die Kräfte ging. Wir mussten schwere Kisten voll von Gemüse tragen, riesengroße Kessel bewachen, große Kannen mit dünner Suppe in die Lastkraftwagen laden, die dann zu den zahlreichen Zechen gebracht wurden… In den Zechen arbeiteten unsere russischen Kriegsgefangenen. Wir mussten manchmal auch andere Arbeit erfüllen z.B. Arbeit in der Fabrik, wo Gemüse gedörrt wurde, oder in der Zeche, wo wir Müll beseitigen mussten. Die Arbeit war schwer und wir erhielten nur 200g Brot pro Tag und dünne Suppe in unbeschränkter Menge.

In demselben Gebäude befand sich auch ein Dampfbad für Kriegsgefangene. Jeden Tag wurden Kriegsgefangene dorthin gebracht. Dort wurden sie gewaschen und ihre Kleidung wurde mit Dampf behandelt. Und dann mussten wir in dieser Höllenhitze aufräumen. Jedes Mal sahen wir diese bewachten Kolonnen und brachten einige Krankentragen. Die Kriegsgefangenen waren ganz entkräftet und manche von ihnen starben. Dann wurden sie mit Hilfe der Krankentrage zurückgetragen. ..

Der Arbeitgeber hieß Herr Strafmann. Seinen Vornamen kennen wir nicht. Die Wirtin … war eine sehr strenge Person, sie war ganz boshaft. Wir hatten Angst vor ihr. Sie war 45-50 Jahre alt. Sie hatten keine Kinder. Sie war lahm und hinkte an einem Bein. Der Polizist hießt August … Er lief hin und her und schlug mit seiner Peitsche auf seine Stiefel. Er war jung und wollte uns so schrecken. Es hat auch eine Aufseherin gegeben. … Sie war gut – sie machte nichts Böses. Es hat auch Frau Graf gegeben. Sie lud uns zu sich nach Hause ein und wir tranken Tee bei ihr, sie bewirtete uns. Sie hatte 2 Töchter. Sie hatte keinen Mann. Sie wohnte unweit von unserem Lager. Während der Luftangriffe ließen uns die Deutschen nicht in ihren Luftschutzraum hinein und wir versteckten uns im Keller in unserem Lager. Einmal traf eine Sprengbombe unser Wohnheim und es ging in Flammen auf. Wir wohnten im Keller bis unser Haus repariert wurde. ….

Wir wurden von den Amerikanern am 04.04.1945 befreit. Sie brachten uns in die Stadt Magdeburg an der Elbe. Dort wohnten wir eine kurze Zeit in einem Lager bis wir im Oktober 1945 nach Hause kamen.“

Quelle: Gesellschaft für ehemalige minderjährige Zwangsarbeiter, Donezk
http://www.bochumgegenrechts.de/Gedenkort-Bergen/