In seiner ,‘Geschichte des Bochumer Stadtteils Grumme’ (s.u.) hat Thomas Mono 1980 Zeitzeugen befragt, die auch von Erfahrungen zum Thema Zwangsarbeit berichteten:
Alfons K.
„Die Kaiseraue wurde im Krieg umfunktioniert. Zuerst, 1940, kamen da französische Kriegsgefangene ‚rein. Nach denen kamen Russen und Polen da hinein, nachher waren nur noch Russen da, die arbeiteten auf Constantin 6/7 und wurden von Bochumer Polizeieinheiten bewacht. Die Russen hatten teilweise Kontakt mit Grummer Leuten. Einer kam auch öfters zu uns, der kriegte dann von meiner Mutter einen Teller Suppe. Die Russen sind von der Polizei oft brutal misshandelt und geschlagen worden.“
Alois K.
„Ich habe schaurige Sachen persönlich gesehen. Und zwar haben Zivil- und Kriegsgefangene aus dem Osten, vor allem Russen, in den Kellerräumen während des 2. ‚Weltkriegs campiert. Die mussten auf Constantin 6/7 arbeiten. Die wurden kolonnenweise immer zur Zeche hin und zurück zur Kaiseraue gebracht. Und ich wollte einmal morgens mit der Straßenbahn zur Stadt fahren, da sah ich, wie sich einer bücken wollte, um eine Kartoffelscheibe aufzuheben und die zu essen. Das sah ein Grummer, der mir auch heute noch bekannt ist, der gehörte zum Wachpersonal. Der schlug den mit ’nem dicken Knüppel nieder. So etwas habe ich aber nicht nur einmal gesehen, ich kam jeden Tag vorbei, und der An- und Abmarsch wiederholte sich sehr oft.“
Josefine H.
„In der Kaiseraue waren russische Gefangene, das war ganz furchtbar. Da wurde zwar gekocht für, die hatten aber immer einen schrecklichen Hunger. Wenn bei uns Kohlen vor dem Haus lagen, standen schon ein paar Russen da zum Einfüllen, um etwas zu Essen zu bekommen, ich habe ihnen auch immer etwas gegeben. … Da waren 4 Russen, die haben immer in der Aschentonne nach etwas Essbarem gesucht, und wenn ich die kommen sah, habe ich ihnen entweder unauffällig etwas aus dem Fenster geworfen oder auch etwas in die Aschentonne gelegt. Die haben wenig zu essen gekriegt, da haben sich die Lagerleiter doch dran gesund gestoßen, die hatten immer was zu essen.
Einer hier von Grumme hat einen Russen so geschlagen, dass er daran gestorben ist. Der hatte nur einen Kapskopf geklaut, weil er Hunger hatte, da hat der den so geschlagen, dass er daran gestorben ist. Die sind geprügelt worden! Aber das waren alles diejenigen, die nachher so taten, als wären sie nie Nazis gewesen.“
Zitat aus der Monografie:
„Diese Gefangenen waren hauptsächlich auf der Zeche Constantin 6/7 beschäftigt, vereinzelt hatten sie aber auch auf den Grummer Höfen bzw. in Grummer Betrieben zu arbeiten. Nach Angaben von Frau Helf waren beispielsweise an der Kiesgrube des Bauern Helf einige Russen während des Krieges beschäftigt. Auch Frau Helf berichtet von dem schlimmen Zustand, in dem sich die Gefangenen aufgrund der mangelnden Ernährung befanden, so dass sie die bei der Kiesgrube beschäftigten Russen trotz Strafandrohung speiste, sonst wären sie überhaupt nicht arbeitsfähig gewesen.“
Mono, Thomas,, Die Geschichte des Bochumer Stadtteils Grumme zwischen 1900 und 1980 im Spiegel erzählender Quellen und Erinnerungen Bochum 1981 S.39
Die Kaiseraue als Lager 1942 – Bericht eines Schülers
Der ehemalige Pfarrer Georg Braumann berichtet in seiner Dokumentation: (s.u.) von einem Spaziergang vom Gymnasium ins Zillertal 1942. Er zitiert dabei den Schüler Ludwig Serwe:
„Ende des Sommers 1942 machten wir zusammen mit Vatter Braun und Klostermann einen Klassenausflug in das Grummer „Zillertal“ – zum Sammeln von Ebereschenbeeren. ….Im Sommer 1941 waren die Räume und der Garten der Kaiseraue Internierungslager für französische Offiziere. Auf dem Schulausflug erinnerte ich mich an einen Sonntagsspaziergang mit meinen Eltern, der uns im Sommer 1941 an der Kaiseraue vorbeigeführt hatte: Hinter einem etwa 2,5 m hohen Maschendrahtzaun sahen wir eine muntere Gesellschaft junger Männer, nur mit kurzen Hosen bekleidet, auf bequemen Korbsesseln in der Sonne sitzen. Sie beobachteten beifällig und lebhaft kommentierend die Kunststücke eines ihrer Kameraden. Gerade beugte der von Sonnenöl glänzende, bronzefarbene Körper des Athleten sich dem Boden zu, um eine auf einem Taschentuch liegende Zigarette mit den Lippen aufzuheben. Ich klatschte ebenfalls Beifall, und der Athlet quittierte das nach seiner Übung mit einer leichten Verbeugung auch in unsere Richtung. Im Weitergehen fragte ich meinen Vater: ‚Warum fliehen die nicht aus diesem Lager?‘ Vater sagte: ‚Offenbar haben die Herren ihr Offiziersehrenwort gegeben, und außerdem können sie ja hier wohl den Krieg auf angenehme Weise ertragen und überleben.‘
Unsere Lehrer führten uns nun ins Zillertal, wo wir besonders an der nach Osten aufsteigenden Böschung, rechts des Weges, zahlreiche Ebereschen unterschiedlichen Alters mit vielen reifen Fruchtständen vorfanden. Wo nötig, zogen wir die Äste mit Spazierstöcken zu uns herunter und pflückten in verhältnismäßig kurzer Zeit viele Beeren. Auf dem Heimweg trug ich einen mit feuerroten Früchten gehäuft angefüllten, großen Schuhkarton wie eine Trophäe vor mir her. Vor der Kaiseraue durften die in der Nähe wohnenden Schüler, zu denen ich auch gehörte, die von den Lehrern geführte Gruppe verlassen, um auf dem schnellsten Wege nach Hause zu gehen. Als zwei Klassenkameraden und ich an den Fenstern des ehemaligen Restaurants vorbeigingen, hörten wir von dort unverständliche Zurufe. Wir gingen auf die jetzt mit starken Gittern und sehr engem Maschendraht bewehrten Fenster zu und konnten erst aus unmittelbarer Nähe in den dämmrigen Raum hineinsehen: Wir erkannten eine Vielzahl von kahlgeschorenen Köpfen, die sich von unten und von den Seiten aus drei übereinander stehenden Holzpritschen in die Fensteröffnung drängten. Die offenbar sehr jungen sowjetischen Kriegsgefangenen machten in ihren schmutzigen Uniformfetzen und ihren ausgemergelten, hohläugigen Gesichtern einen wirklich erbarmungswürdigen, Mitleid erregenden Eindruck auf uns. Mit ganz unterwürfiger Gebärde zeigten ihre dünnen Finger auf die herrlich roten Früchte, die sie zu sich hineinwinken wollten. Aus dem Hintergrund der Gruppe rief einer leise immer wieder: „Cheben, Hunger! Cheben, Hunger!“ Wir stellten unsere Sammelgefäße auf das Stück Fensterbank, welches das Gitter noch frei ließ und drückten die Beeren mit den flachen Händen durch den Draht, dessen Maschen bestenfalls zwei bis drei Früchte gleichzeitig durchließen. Auf der anderen Seite ergriffen viele dünne Finger die roten Kügelchen und steckten sie hastig in die dazugehörigen Münder, um die Hände sofort wieder für den Empfang weiterer Beeren frei zu haben. Schnell wanderte unsere ganze Ernte durch den Maschendraht – viel zu schnell für die Empfänger! Trotzdem klatschte einer von ihnen, wie zum Dank, ein paar Mal die Hände. Jetzt näherte sich ein älterer Wachsoldat, der von der etwa 20 m entfernten ehemaligen Eingangstür aus unser Treiben offenbar, ohne einzuschreiten, beobachtet hatte, und bedeutete uns mit einer wortlos verstehbaren Handbewegung: ‚Haut jetzt ab!‘ Wir drei gingen schweigend nach Hause; jeder wohl auf eigene Weise schmerzlich berührt von dem eben Erlebten und verfolgt von den traurigen Augen der jungen Gefangenen. …
Von Klostermann wussten wir um einen Erlaß des Herrn Reichsinnministers, demzufolge jeglicher Kontakt mit sowjetischen Kriegsgefangenen bei Strafandrohung verboten war. Der Lehrer hatte erläutert, dieser Erlaß sei wohl völlig überflüssig, da ja ohnehin jeder anständige Deutsche sich mit Abscheu von diesen bolschewistischen Untermenschen abwenden würde.“
Georg Braumann, Striktes Gehorchen und freies Denken – Die altsprachliche Klasse des staatlichen Gymnasium Bochum 1941 – 1951 mit Oberschul-Parallelklasse 1943 – 1946, erschienen 1998. S.40f