‚Die Vöde‘ ist immer noch ein Begriff in Bochum. Eine Vödestraße gab es mal, die 1975 in ‚Am Bergbaumuseum‘ umbenannt wurde. Ein Sportverein, eine Schule und ein Ortsverein der SPD führen den Begriff in ihrem Namen und weisen auf den Bereich an der oberen Castroper Straße hin. Die historische Vöde war aber viel größer und hatte für die klassische ‚Ackerbürgerstadt‘ Bochum eine wichtige Funktion. Die Bochumer Bürger besaßen in der Stadt Ziegen, Schafe und Schweine, die auf die Weiden der Vöde getrieben wurden. Das war den Bauern, denen diese Weiden formal gehörten, schon lange ein Dorn im Auge. So kam es zu einem lange andauernden Konflikt, der sich schon damals Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie darstellte.
Dr. Günther Höfken hat schon 1930 dazu im ‚3.Heimatbuch‘ der Stadt Bochum den umfangreichen Artikel ‚Zur Geschichte der Bochumer Vöde‘ veröffentlicht. 1954 im ‚6.Heimatbuch‘ beschrieb er nach einer Zusammenfassung des ersten Textes die weitere Entwicklung bis zur Aufgabe der Vödewirtschaft. Meine Ausführungen basieren weitgehend auf diesen Texten.
- Vöden im alten Bochum
Vöden sind nicht mit Allmenden zu verwechseln, die zum Gemeindevermögen gehörten und meist durchgängig von allen Mitgliedern genutzt werden konnten. Vöden waren dagegen Grundstücke, die privaten Besitzern, oft Bauern, gehörten, von diesen aber nur einige Jahre beackert wurden durften. Ebenso lang mussten die Grundstücke für alle Bürger als gemeinsame Weide brach liegen.
Diese Form der Bodennutzung gab es schon sehr lange in Westfalen. Die alten Bauernschaften Bochum, Altenbochum und Grumme besaßen gemeinsame Ländereien, die man in zwei Vöden aufgeteilt hatte, die jeweils im 6-Jahres-Wechsel als Weide (Hude) und als Ackerland genutzt wurden.
„Die Bochumer Vöden umfaßten fast den ganzen nördlichen und östlichen Teil der Feldmark. Von den Schmechtingswiesen an der Herner Straße zog sich über das heutige Stadtparkviertel bis zu den Sportplätzen an der Castroper Straße die kleine Vöde. Die große Vöde umfaßte das Gelände zwischen Castroper Straße und der Rheinischen Eisenbahn. In diese Vödeländereien schob sich hinter dem Diekmannshof an der Castroper Straße (östlich davon) die Lüttke Vöde ein, ein Gelände, das nur als Acker, nicht als Weide benutzt wurde. Ursprünglich ein Teil der Gemeindeweiden war die Krümmede, in dem Wort steckt das alte „ede“ = hede, Heide, es bedeutet Teil einer (größeren) Heide. Hinter der großen Vöde, zu beiden Seiten der Castroper Straße bis zur Stadtgrenze (Landwehr) lagen noch private Äcker.“ *
Die beiden Vöden wurden abwechselnd als Weide und als Acker genutzt. In die kleine Vöde gelangte man über die Bergstraße. Durch das Beck-Tor und durch den Hohlweg der ‚hohen Gate‘ (gate = ‚Viehtriftweg‘, heutige Castroper Straße) trieb man das Vieh zur große Vöde. Dabei muss man sich klarmachen, dass es Straßen im heutigen Sinne noch gar nicht gab. Erst ab 1780 wurden ‚Chausseen‘ gebaut, für die Zeit vorher sollte man von ‚Wegen‘ sprechen.
Die Hofbesitzer von Grumme und Altenbochum besaßen fast 300 Morgen* der Vöden, durften diese aber in den Weidejahren gar nicht nutzen. Alle Bochumer Bürger konnten ihr Vieh dort weiden lassen, die Hütung wurde von bezahlten Hirten übernommen. So entwickelte sich eine gegensätzliche Interessenslage: Die Hofbesitzer bzw. Bauern wollten das Land, das ihnen gehörte, vollständig nutzen – für die Bürger der Stadt war das Weiderecht dagegen wichtig für die eigene Viehhaltung und deshalb eine Einkommensquelle, auf die sie auf keinen Fall verzichten wollten bzw. konnten.
- Reformpläne und „Vöde-Revolution“
Wegen der rückständigen Bewirtschaftung der Vöden wollte Preußen die Huderechte (=Weiderechte) abschaffen. 1775 sollte der Bochumer Magistrat einen Bericht dazu abgeben, doch wegen massiven Widerspruchs wurde nichts daraus. Nach der Napoleon-Zeit und dem Wiener Kongress wurde 1817 der Kreis Bochum gegründet, Bochum war damit als preußische Kreisstadt auch für die Vöden zuständig.
1822 sahen Altenbochumer Landwirte ihre Stunde gekommen und verlangten die Teilung der Bochumer Vöden. Dazu wurde 1824 ein Teilungsplan vorgelegt, nach dem die komplizierte Doppelnutzung abgeschafft werden sollte. Die Eigentümer sollten 3/8 ihres (Vöde-)Bodens an die Hudeberechtigten abtreten, jeder hudeberechtigte Hausbesitzer sollte demnach ein Stück Land als Abfindung erhalten. Viele Bürger waren damit nicht einverstanden, denn ihre Nutztiere waren ein wichtiger Bestandteil ihres Einkommens und da war die Hude unverzichtbar. Es folgten lange Jahre der Verhandlungen und Prozesse. Der Bürgermeister erklärte, abgetretene Ländereien müssten der Bürgerschaft, nicht dem einzelnen Hausbesitzer zufließen.
1848, im Jahr der Pariser Revolution und des Barrikadenkampfs in Berlin schwappte die Aufbruchsstimmung auch nach Bochum über und machte sich an dem Streit um die Vöde-Teilung fest. Der Graf von der Recke berichtete:
„In der vorigen Nacht um 11 Uhr waren mehrere Hundert der Hudeberechtigten aus der Stadt mit Trommeln und Fahnen bei mir auf meinem Gute (Haus Overdyk in Hamme), um bei mir Hülfe zu suchen. … Aber die erregte Volksmenge blieb nicht ruhig. Nachdem der nächtliche Zug zum Landrat nicht ohne Wirkung geblieben war und mit ihm die „Vöde-Revolution“ begonnen hatte, zog am folgenden Tage die Bochumer Bürgerschaft aus dem Gerberstraßenviertel, „mit allen möglichen Wehrgerätschaften, Forken, Schüppen und sonstigen Instrumenten bewaffnet“ nach dem Gehöft des Landwirts Schulte-Ladbeck … und suchte unter Drohworten gegen diesen Deputierten der Grundbesitzer gewaltsam vorzugehen. Ein anderer Trupp streifte die Vöde ab und zerschlug die gerade angefahrenen Grenzsteine.“ *
Schließlich wurde eine Bürgerwehr eingerichtet und Militär stationiert, damit die Messungen durchgeführt werden konnten.
Es kam zu einem Vergleichsvorschlag, der im August 1848 in einer Versammlung der gesamten Bürgerschaft und in einer Sitzung der Stadtverordneten angenommen wurde. Demnach bekamen die Bauern von Grumme und Altenbochum 5/8 ihrer Hudeflächen als regulären Besitz zu gesprochen. Der Grummer Bauer z. B. Wilhelm Helf gen. Dördelmann erhielt so ‚30 Morgen 71 Ruten 45 Fuß Land‘. Außerdem mussten die Bauern ca. 1 000 Thaler an die städtischen Hudeinteressenten zahlen. Die den Hudeinteressenten und den städtischen Vödeeigentümern zugeteilten Flächen wurden zur ‚neuen Vödewirtschaft‘ zusammengeschlossen .
- Die neue Vödewirtschaft (1848 – 1870) und ihr Ende
Die Bürgerschaft hatte damit als Hudegemeinschaft in der großen Vöde 64 Morgen, in der kleinen Vöde 65 Morgen erhalten. Dort durfte in Zukunft die Hude weiter ausgeübt werden. Die Huderechte wurden unter Aufsicht des Magistrats, von einer Verwaltungskommission wahrgenommen.
Seit Mitte der 1860er Jahre wurde immer weniger Vieh auf die Weide getrieben. Bochum war Industriestadt geworden. Viehhaltung und Vöden wurden nicht mehr gebraucht und galten als rückständig. So wurde ein Teilungskommissar eingesetzt, die Grundstücke fielen zu großen Teilen der Stadt zu, die darauf u. a. den Stadtpark und den Blumen-Friedhof anlegte. In der großen Vöde wurde das Zentralgefängnis gebaut, damals ‚weit draußen‘. Private Vödeeigentümer erhielten Abfindungen im Stadtparkviertel und an beiden Seiten der Castroper Straße.
Der Konflikt verlor damit immer mehr an Bedeutung, auch weil durch Eingemeindungen (1904, 1926, 1929) und die Bebauung großer Flächen die Peripherie immer mehr mit dem Zentrum verschmolz. Hinzu kamen schon früh Bestrebungen zur überregionalen Kooperation (Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk SVR 1920, Regionalverband Ruhr RVR 2009).
Obwohl die Ruhrregion, gerne als ‚Metropolregion‘ tituliert wird, wird sie bis heute von drei ‚auswärtigen‘ Regierungspräsidien verwaltet.
Heinz Schlinkert
Textgrundlagen:
Dr. G. Höfken, Zur Geschichte der Bochumer Vöde Bochum 1930 in 3.Heimatbuch der Stadt Bochum
Dr. G. Höfken, Zur Geschichte der Bochumer Vöde Bochum 1954 in 6.Heimatbuch der Stadt Bochum
* Zitate aus dem Text von 1954