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Juden-Verfolgung in Grumme – Leo Marx

Im Laufe der Geschichte haben in Grumme kaum jüdische Mitbürger gelebt.Trotzdem haben Grummer Bürger die Verfolgung der Juden miterlebt. Es gab viele Täter, doch auch heimliche Helfer, wie der folgende Text zeigt.

Stolperstein vor der ehemaligen Wohnung von Leo Marx an der Kortumstraße 71

Thomas Mono hat 1981 viele Anwohner befragt und ihre Aussagen protokolliert. Am 26.4.1981 führte er ein Gespräch mit der damals 80jährigen Josefine H., die ihr ganzes Leben in Grumme verbracht hatte. Sie berichtete „von dem schrecklichen Schicksal einer Judenfamilie, deren Vater in Grumme verkehrte„:

„Ich habe viel mit Juden zu tun gehabt. Das war ein Viehhändler, der verkaufte an die Metzger Vieh. Der wohnte in der Stadt und hieß Marx, und der kam viel zur Metzgerei Hackert, auch, als er den Stern schon trug, und hat sich da etwas geholt. Der Metzger Hackert wollte das nachher nicht mehr sehen, der hatte nichts dagegen, ist aber immer weggegangen, wenn der kam. Die Frau Hackert war ja meine Tante, und die hat ihm dann immer etwas eingepackt. Da kam er mal an einem Sonntag, da ging er nur in die Küche, die lag separat.

Da legte er ein paar Bilder hin von seinen Kindern, die waren beide nach Holland verschickt worden, und die Tränen liefen ihm auf das Papier, die hat er nie wiedergesehen. Und die beiden, Mann und Frau, wurden auch vergast, das wissen wir. Die Hackerts hatten nachher Angst, ihm noch was zu geben, der kam im Dunkeln mit dem Rad gefahren, und dann kam er zu mir, wir wohnte schräg hinter Hackerts an der Liboriusstraße/Ecke Josephinenstraße. Der kam dann immer zu uns ‚rauf, monatelang, dann hatte ich das Paket fertig liegen. Und einmal sagte er zu mir, dass sie Bescheid hätten und wegmüssten, und ich sollte mir seine Nähmaschine holen, ich habe das aber nicht gemacht. Er sagte: ‚Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht, dass wir uns wiedersehen.‘ Er ist nicht mehr wiedergekommen. —

Bei uns im Haus wohnten unter uns Nazis, der Mann war bei der SS, und ich hatte immer eine schreckliche Angst, dass die Tür mal von denen offen ging, wenn der Jude zu mir ‚raufkam. Wir wissen, dass der umgekommen ist, vergast wurde. Dessen Familie war seit 300 Jahren am Rhein ansässig, der hatte den 1. Weltkrieg als Soldat mitgemacht. Und er und noch ein Jude aus Bochum hatten ein Visum für Amerika, der andere ist auch ‚rübergefahren und lebt jetzt wieder hier. Der hatte ein Visum für ihn und wollte, dass er mitfährt, aber er hat gesagt: ‚Nein, ich kann doch nicht von Deutschland weg, die können mir nichts, ich bin doch Soldat gewesen!‘ Mein Gott, ich habe manchmal Angst gehabt, wenn der Leo Marx, der Jude, zu uns kam! Die Kinder sind von hier aus nach Holland, und dann sind sie ja da einmarschiert. Und dann hat er noch Bescheid gekriegt, dass die umgekommen sind, das wusste er noch. Dass er selbst umgekommen ist, erfuhren wir von dem anderen Juden später. Der wusste, dass Mann und Frau vergast worden waren. Nazis waren genug in Grumme, die es nachher alle nicht mehr wissen wollten. Und der SS-Mann, der unter uns wohnte, kam nachher mit Listen zu uns, wir sollten unterschreiben, dass er nicht gefährlich war. Der ist heute ganz dick wieder bei der Polizei drin.“

aus Thomas Mono, Die Geschichte des Bochumer Stadtteils Grumme zwischen 1900 und 1980 im Spiegel erzählender Quellen und Erinnerungen Bochum 1981 S.36f