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Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Ersten Weltkrieg

Kriegsgefangene im Ruhrbergbau

Da man anfangs meinte, der Krieg wäre in wenigen Wochen zu Ende, hatte niemand an die wirtschaftlichen Folgen gedacht. Als es dann zum Stellungskrieg und zu Materialschlachten kam, wurde die Kriegswirtschaft mit zentralen Instanzen wie der Kriegsrohstoffabteilung installiert.

Da viele Männer im Krieg eingesetzt oder schon gefallen waren, war ‚Arbeitskräfte‘ ein zentrales Thema. Frauen und Jugendliche allein konnten diesen Mangel nicht ausgleichen und so wurden schon früh Kriegsgefangene eingesetzt. Diese waren anfangs oft erst einmal damit beschäftigt ein Lager für sich zu bauen, weil auch an Unterkünfte für Kriegsgefangene nicht gedacht worden war. Ende 1918 waren im Deutschen Reich ca. 2,5 Millionen Kriegsgefangene in 200 ‚Stammlagern‘ untergebracht, zu denen jeweils viele kleinere Lager gehörten.

Auch im Ruhrgebiet waren ganze Jahrgänge eingezogen worden, ohne die Auswirkungen auf die Kohleförderung zu berücksichtigen. Deshalb wurden Anfang 1915 die ersten Kriegsgefangenen in den Bergwerken über und unter Tage eingesetzt; Armeekorps waren für die Gefangenen zuständig. Im Frühjahr 1915 bildeten schon über 73000 Arbeiter, vor allem aus Frankreich und Russland, ca. 16% der Belegschaft des Ruhrbergbaus. Die meisten dieser bewachten Lager befanden sich auf Zechengeländen und waren mit Stacheldraht eingezäunt., die Gefangenen mussten spezielle Kleidung tragen.

Baracken im Kriegsgefangenenlager Emscher Lippe 1915. In Holzgestelle wurden Hängematten eingehängt, die tagsüber zusammengerollt wurden.

So pries das Dortmunder Bekleidungshaus J. Fischer im April 1915 Anzüge für Gefangene in zwei Ausführungen an „.. entweder ein schwarzer Anzug mit halbem gelben Rücken, oder ein brauner Anzug .. mit schwarzem oder dunkelblauem Rückenteil. Der andersfarbige Rückenteil ist so eingesetzt, dass bei evtl. Losrennen desselben die Jacke auseinanderfällt.“ (Schreiben an den Landrat in Bochum, zit. nach Rawe S. 129)

Die Armeeführung versuchte für die Ernährung der Kriegsgefangenen zu sorgen, doch auch die deutsche Bevölkerung litt lange Zeit unter Hunger. So kam es sogar zu Beschwerden in Bochum, dass die „Verpflegung der Kriegsgefangenen wesentlich besser sei, als die unserer Bevölkerung“ (zit. nach Rawe S. 104), Kinder sollen an einem Lager sogar gebettelt haben.

Norbert Meier hat in seinem Buch über die Zeche Emscher-Lippe über die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen an dieser Zeche dargestellt auch anhand einiger Fotos dargestellt. Ähnlich wird es auf der Zeche Constantin gewesen sein.

Zivilarbeiter‘ und Zwangsarbeiter

Doch nicht nur Kriegsgefangene wurden im Bergbau eingesetzt. Freiwillige arbeitslose ‚Zivilarbeiter‘ aus Belgien kamen – ähnlich wie später die Gastarbeiter – , nachdem die deutsche Armee die belgische Wirtschaft ruiniert hatte. Gleichzeitig kamen aus dem besetzten Polen viele Arbeiter, die die dort oft unter Druck gesetzt worden waren und damit als Zwangsarbeiter angesehen werden müssen. Später wurden Russen und auch Belgier deportiert und von den Kriegsgefangenen getrennt in geschlossenen bewachten Lagern untergebracht.

aus. Hirschfeld, Krumeich S.190

Die freiwilligen Zivilarbeiter wurden nicht kaserniert. Man war auf tarifliche Bezahlung bedacht und auch Arbeitsschutzvorschriften sollten eingehalten werden. Doch gerade die Belgier waren dafür bekannt, dass sie oft nicht lange blieben und trotz des Arbeitsvertrags schnell wieder verschwunden waren.

Anders die russisch-polnischen ArbeiterInnen, für die es kaum einen Weg nach Hause gab. Wenn sie die Arbeit verweigerten, war eine ‚Rückbeförderung’ schwierig und auch für die deutsche Wirtschaft kontraproduktiv, weil sie dann in ihrem Heimatland Negativwerbung über Arbeitsplätze in Deutschland gemacht hätten. 1917 wurde manchmal ‚Schutzhaft‘ in Arbeitshäusern verhängt.

Lagergeld der Zeche Constantin

Über die Situation von ausländischen Arbeitern auf Grummer Zechen in wenig bekannt. Kriegsgefangene auf den Zechen von Constantin der Große wurden auf Zechengeländen, z. T. in Ledigenheimen untergebracht. Das Lagergeld dieser Zeche beweist auch heute noch, dass es dort Lager gegeben hat.

Schon 1914 gab es im Deutschen Reich 452 Ausgabestellen von Notgeld, weil Silbermünzen oft gehamstert wurden und neue nicht mehr geprägt werden konnten. ‚Lagergeld‘ wurde dagegen nur in Internierungs- oder Kriegsgefangenenlager erstellt und nur an Gefangene ausbezahlt. Bezahlen konnten damit nur die Gefangenen selbst und nur im Lager, z. B: in der Kantine. Außerhalb des Lagers konnten sie damit nicht bezahlen, also auch nach einer Flucht nicht darauf zurückgreifen. Geplant war ursprünglich, dass die Gefangenen es nach dem Krieg in reguläres Geld umtauschen konnten.

Für die Zeche Constantin gab es nur vier geprägte Notmünzen mit den Werten 1, 2, 5 und 10  (s. Fotos). Die Anzahl der geprägten Münzen ist unbekannt, Geldscheine gab es nicht. Die Abbildungen zeigen deutlich die Aufschrift
„KRIEGSGEFANGENEN * LAGER * CONSTANTIN“

Peter Piasecki hat bei seinen Forschungen über Lagergeld im 1. Weltkrieg in einem anderen Artikel auch über die Zeche Friedrich der Große in Herne berichtet. Dort gab es auch Lagergeld-Scheine mit der Aufschrift:
„Nur für den Verkehr zwischen den Gefangenen und dem Kantinenverwalter bzw. der Grubenkasse gültig.“
So zirkulierte Lagergeld auch zwischen den Gefangenen, manchmal kam es auch in die Hände der einheimischen Bevölkerung und fungierte außerhalb der Lager als Notgeld.

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So waren Zwangsarbeit und Ausländerbeschäftigung auch im Ruhrgebiet ein wichtiger Bestandteil der Kriegswirtschaft. Das Hindenburg-Programm hatte 1916 zur Industrialisierung des Krieges und zur Zentralisierung der Wirtschaftsplanung geführt. Damit wurde der ‚Totale Krieg‘ des 2. Weltkriegs schon teilweise vorweggenommen.
Natürlich waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen ArbeiterInnen schlecht, doch auch die deutsche Bevölkerung litt. Die Armeeführung hatte aber auch die Situation der deutschen Gefangenen in den anderen Ländern im Blick, auch das Rote Kreuz inspizierte regelmäßig die Stammlager.
Kai Rawe kommt in seiner detailreichen Dissertation „… wir werden sie schon zur Arbeit bringen!“ (s. u.) zu dem Ergebnis, dass trotz aller Zwangsmaßnahmen diese nicht das Ausmaß an Skrupellosigkeit und Menschenverachtung erreichten  wie im zweiten Weltkrieg.

alle Abb. aus den Texten von von Peter Piasecki s.u.

Literatur

Hirschfeld, Gerhard, Krumeich, Gerd
Deutschland im Ersten Weltkrieg FfM 2013

Meier, Norbert
– Zeche Constantin der Große – Schwarzes Gold unter Bochum und Herne. , Dortmund 2014
– Zeche Emscher-Lippe Steinkohlenbergbau unter dem Kanalkreuz Datteln , Dortmund 2013

Piasecki, Peter
– Das Lagergeld für Kriegsgefangene in Bochum und Herne im Ersten Weltkrieg auf der Zeche ‚Constantin der Große‘ in: Münzen Revue 7+8/2023 S.48ff
– Gefangenenlager und Lagergeld der Zeche Friedrich der Große in Herne im Ersten Weltkrieg  in: Der Anschnitt 74, Bochum 2022 H.1 (als pdf unter
https://www.bergbaumuseum.de/fileadmin/forschung/zeitschriften/der-anschnitt/2022/2022-01/anschnitt-1-2022-Piasecki-Gefangenenlager-und-Lagerfeld.pdf, abger. 14.5.24)

Rawe, Kai
„… wir werden sie schon zur Arbeit bringen!“ Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im Ruhrkohlenbergbau während des Ersten Weltkrieges Essen : Klartext-Verlag 2005

Seidel, Hans; Tenfelde, Klaus (Hg.)
Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiet im Ersten und Zweiten Weltkrieg Essen 2005: Klartext-Verlag 2 Bände

 

Zur Situation im Zweiten Weltkrieg:

Zwangsarbeit in Bochum im Zweiten Weltkrieg