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Arbeitseinsatz auf der Zeche Constantin

Ausländische Arbeiter hatte es auf den Ruhrzechen schon im 1. Weltkrieg gegeben, als französische Kriegsgefangene, belgische Zivilarbeiter und polnische Zwangsarbeiter ‚angelegt‘ wurden. Nach dem ersten Weltkrieg wurden nur noch wenige Zivilarbeiter angeworben, vor allem aus der Tschechoslowakei und Italien. 1939 waren es 10.000 Menschen.
Im 2. Weltkrieg übernahmen die Ruhrzechen nach anfänglichem Zögern im Frühjahr 1940 französische, polnische und belgische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in ihre Belegschaften. Auf der Zeche Constantin waren von den 409 ausländischen Arbeitskräften 121 Italiener und 221 Polen.
Doch Ende 1941 waren im Ruhrbergbau von den insgesamt 80.000 ausländischen Arbeitskräften nur noch 34.000 da. Die hohe Fluktuation sowie “Disziplinlosigkeit“ und „Arbeitsunwilligkeit“ ging man kaum an, weil man dachte, dass der Krieg nicht mehr lange dauern würde.
Das änderte sich mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion. Schon bald war klar, dass Russland nicht so schnell zu erobern war wie Frankreich. Um die Jahreswende 1941/42 wurden mit dem „Russeneinsatz“ die ersten russischen Kriegsgefangenen und „Zivilarbeiter“ ins Ruhrgebiet gebracht, die meisten davon aus der Ukraine. „Ostarbeiter“ wurden die russischen und polnischen Zwangsarbeiter genannt. Im Oktober 1942 kamen italienische Kriegsgefangene dazu.
Auf der Zeche Constantin betrug der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte an der Gesamtbelegschaft fast 40% von gut 10.000 Arbeitern, davon nahezu die Hälfte russische Kriegsgefangene und über 800 italienische Militärinternierte.

Lageplan der Zeche Constantin 6/7 aus N. Meier, Zeche Constantin S.175
  • Qualifikation und Leistungsfähigkeit – ‚Russenstrebe‘

Zunächst gab es viele Bedenken zum Einsatz der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen im Bergbau, vor allem im Untertagebetrieb. Man befürchtete, dass diese spionieren oder sabotieren könnten und die peniblen Sicherheitsbestimmungen nicht beachten würden. Auch die Einschätzung der Leistung schien schwierig, besonders beim gemeinsamen Gedingelohn. Und wie würden die stolzen deutschen Bergmänner damit umgehen, dass nicht ausgebildete russische Arbeiter ihre Arbeit verrichteten? Drohte ihnen ein Statusverlust?
Doch das größte Problem bestand in der Qualifikation der ZwangsarbeiterInnen. Während die belgischen Zivilarbeiter oft gut ausgebildet waren, verfügten die ‚Ostarbeiter‘ kaum über geeignete Qualifikationen. Schon am 4.11.1942 berichtete die Zeche Constantin in den ‚Arbeitskreisen für Leistungssteigerung auf den Zechen des Ruhrbergbaus über den betrieblichen Einsatz sowjetischer Arbeitskräfte‘:

Constantin der Große am 4. November 1941:
Bei dem ersten Einsatz von Zivilgefangenen wurde der Versuch gemacht, dem deutschen Arbeiter einen Hilfsmann beizugeben, der hauptsächlich Schaufelarbeit zu verrichten hatte. Diese Arbeitseinteilung führte aber zu keinem Erfolg, da sich zwischen dem deutschen Arbeiter und dem Zivilgefangenen schon bald ein kameradschaftliches Verhältnis bildete. Es wurden dann versuchsweise einem deutschen Arbeiter vier bis sechs Russen zugeteilt, über die der deutsche Gefolgsmann die Aufsicht führte. Hierbei wurde festgestellt, dass sich bei dieser Methode der Deutsche als Vorgesetzter fühlte und z. T. aus den Russen annehmbare Leistungen herausholte.“ (BBA 20/2883)

Bei den Kriegsgefangenen wurde die Zahl der zugeteilten Russen auf 6 bis 10 pro Aufsichtskraft erhöht.

Ausbildung von Kriegsgefangenen aus: N. Mever, Zeche Emscher-Lippe S.188

Dieses Vorgehen sollte sich als zukunftsweisend herausstellen. Im April 1943 gab der ‚Russenausschuss‘ der ‚Betriebsgruppe Ruhr‘ spezielle Richtlinien zum Ausländereinsatz heraus, die später in der ‚Norkus Kommission‘ überarbeitet und als Anweisungen verbindlich gemacht wurden.
Der Einsatz der Zwangsarbeiter in der „Helotenstellung“ als Zuarbeiter für die Bergleute hatte sich nicht bewährt. Stattdessen wurde die Einrichtung von ‚Russenstreben‘ empfohlen, vor allem bei Flözen mit flacher oder halbflacher Lagerung. Die schwieriger auszubeutenden steilen Lagerungen blieben dagegen den qualifizierten deutschen Bergleuten vorbehalten. Gruppen von bis zu 20 russischen Arbeitern wurden in einem Streb eingesetzt und nur von einem Deutschen beaufsichtigt. Die Funktion dieser „Aufsichtshauer’ übernahmen auch Berginvaliden. Später wurden sogar ‚Ostarbeiter‘ und Kriegsgefangene in besonderen Fortbildungen für diese Aufgabe vorbereitet, so z. B.in 1943 auf Schacht 6/7 der Zeche Constantin. (BBA 20/2883 )
Auch die Abbaumethoden änderten sich. Hatte man vor dem Krieg das kontrollierte Sprengen, ‚Schießen‘ genannt, aus Sicherheitsgründen immer mehr reduziert, so erhöhte sich der Anteil im Ruhrbergbau Anfang 1943 von 3-5% auf 10-12%. Für das ‚Schießen‘ benötigte man keine ausgebildeten Kräfte und es beschleunigte den Abbau. Mögliche Gefährdungen der Arbeiter spielten wohl keine Rolle.  (Quelle: Seidel, Russenstreb S. 20
ff)

Am 15.12.1942 stand auf einer Direktoren-Besprechung der Krupp-Zechen das Thema „Leistung der fremden Arbeitskräfte, insbesondere der russ. Kriegsgefangenen. Zweckmäßiger Einsatz der Russen (Russenstreb?)“ auf der Tagesordnung. Bergwerksdirektor Hotzel von Constantin war auch dabei. Eine detaillierte Aufstellung gab Auskunft über die Leistungsfähigkeit an verschiedenen Constantin-Standorten:

BBA 20/2883

Die Effektivität des ‚Russenstrebs‘ schien damit bewiesen. Auf der Zeche Constantin erhielten ‚Ostarbeiter‘ zudem 20 % Prämienzuschlag, wenn ihre Leistung über das Soll, der Hälfte der Leistung eines ausgebildeten Bergmanns, hinausging. (BBA 20/2879)

  • Weibliche Zwangsarbeiterinnen

Auch weibliche Zwangsarbeiterinnen gab es auf der Zeche Constantin. Im Lager Kosthaus von Schacht 6/7 an der Hiltroper Straße 230, also auf dem Zechengelände, lebten und arbeiteten bis zu 40 ukrainische Frauen in der Zentralküche. Sie mussten schwere Kisten voll mit Gemüse tragen, riesengroße Kessel bewachen, große Kannen mit dünner Suppe in die Lastkraftwagen laden, manchmal auch auf dem Zechengelände Müll beseitigen oder in der „Höllenhitze“ des Dampfbads aufräumen.
Die ehemalige Zwangsarbeiterin Jekaterina Okunewa hat darüber berichtet.
Foto: Küche im Kosthaus 6/7, aus Werkszeitung Constantin 18/39

 

  • Grubenmilitarismus und „Leistungsernährung“

Viele Zwangsarbeiter mussten Gewalterfahrungen machen, denn sie wurden oft von Deutschein misshandelt. ‚Grubenmilitarismus‘ war eine Art Fortsetzung des Krieges auf Zechenterrain und in den Lagern. Später waren italienische Kriegsgefangene besonders betroffen.
Über den Constantin-Reviersteiger Bootmann wurde nach dem Krieg berichtet:

B. hat einen Kriegsgefangenen aus einem nichtigen Grunde an beide Ohren gefasst und mit dem Gesicht solange auf einen Wagenrand gestoßen bis das ganze Gesicht entstellt war.“ Einen anderen Kriegsgefangenen soll er lange geschlagen haben, in der folgenden Nacht sei dieser gestorben.

Zeugenaussage im Verfahren gegen den Steiger Nölting 26.1.1946  (BBA 20/2893)

Dem Steiger Nölting wurde Bedrohung, Entziehung von Zuteilungen und Misshandlung von gefangenen Russen vorgeworfen. Er soll auch mit Meterlatten auf italienische und russische Kriegsgefangene eingeschlagen haben. (BBA 20/2893)

 

 

Die Zechenleitungen versuchten oft mit Prügeln die Leistung der Zwangsarbeiter zu erhöhen. Manche Zechenleitungen betrachteten allerdings körperliche Gewalt als kontraproduktiv, weil die Leistungsfähigkeit eher gesenkt wurde.
„Leistungsernährung“ war dagegen ein bevorzugtes Mittel der Disziplinierung, wobei die Nahrungsmittelversorgung ohnehin sehr schlecht war. Die ehemaligen Zwangsarbeiter Michail Petruk und Nikolaj Storoschenko haben später die Arbeitsbedinungen auf Zeche Constantin beschrieben.
Viele geschwächte Zwangsarbeiter wurden ins STALAG Hemer „zurückgeführt“ und schlichtweg gegen gesunde Arbeiter ausgetauscht.   (Quelle: Seidel, Ausländerbeschäftigung S.115 ff; Seidel, Russenstreb S.18f) 

  • Abgänge

In den Berichten der Krupp-Zechen ist immer wieder von „Abgängen“ die Rede. Von den bis dahin dem Ruhrbergbau überwiesenen 133.000 Kriegsgefangenen waren am 1.1.44 nur noch 87.000 übrig geblieben.
Für die Zeche Constantin wurde im März 1944 ein „Abgang“ von 16% festgestellt. Neben Flucht und Abstellung für andere Bereiche wurden vor allem „gestorben“ und „durch Erkrankungen usw. dem Bergbau verlorengegangen“ als Ursache angegeben. (
BBA 20/2885Die unzureichende Ernährung und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen wurden dabei nicht genannt.
In der Nähe der Zechen selbst wurde nur ein Teil der Opfer bestattet, denn todkranke Zwangsarbeiter wurden oft zurück ins STALAG (Stammlager) Hemer geschickt und dort später beerdigt. Auf dem Grummer Friedhof finden sich die Gräber von russischen Zwangsarbeitern
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Quellen s. Literaturliste

BBA = Bergbauarchiv des Bergbausmuseums Bochum, s. auch:

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Ersten Weltkrieg

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